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                          NRZ 06.03.2004

Teigaffe schlägt Leichenbrühe
SPRACHE / Rotwelsch, Geheim-Vokabular der Gauner, ist nur noch in Redewendungen lebendig

Von
Marlis Haase

ESSEN. Da kommt ein abgerissener Kerl auf die Waldlichtung und ruft seinen Kumpanen zu:

"Noch hab jet lau gespannt, wie harbe emmin Schabol vom Kettenschnub beim Grünwalder Kaim ausnosent, und will doch untermotten, ob ihr mich lau bekaspert habt." (Das heißt: Noch habe ich nicht gesehen, wie viel mein Anteil vom Einbruch beim Grünwalder Juden ausmacht, und will doch untersuchen, ob ihr mich betrogen habt.)

Deutsche Worte sind auch in diesem merkwürdigen Kauderwelsch vertreten, aber sonst? Nun, der junge Dieb hat Rotwelsch gesprochen, eine Gaunersprache, die seit dem Mittelalter in den finsteren Kreisen der Galgenvögel Schutz vor Verfolgung, Ablauschung, kurz vor unerwünschten Mitwissern bieten sollte. Erforscht
und dechiffriert wurde der geheime Ganoven-Code gleichwohl von etlichen Wissenschaftlern. Nachzulesen beispielsweise im neu aufgelegten Rotwelsch-Nachschlagewerk. "Die deutsche Gaunersprache" und "Wörterbuch der Gauner- und Diebessprache" von Ludwig Günter und J. K. von Train.

Schnodderig klingt immer noch

Vieles klingt gar nicht so unbekannt. Die merkwürdige Sprache geistert noch in so vielen Redewendungen des Hoch-und Umgangsdeutschen herum, dass es uns meist schon gar nicht mehr bewusst ist. Etwa: Schund (Mist, schlechtes Zeug), neppen (falsche Waren verkaufen). Oder man trägt eine schicke Kluft  (Gewand). Aber dass der Ziegel Nase  hieß, aber die Nase Nelof, das wissen wir nicht mehr. Auch petzen oder schnodderig ist heute unbefangen in Gebrauch, und ebenso sagt man etwas lässig: Er hat die Platte geputzt, d. h. er ist ausgerissen.

Das Rotwelsch, die einst weit verbreitete Gaunersprache, ist heute als Fachsprache der Verbrecher weitgehend ausgestorben und durch die Muttersprachen der international arbeitenden Galgenvögel ersetzt worden. Die deutsche Sprache hieß übrigens beim historischen Gesindel Galches Loschen.

Vom Rotwelsch der Diebesbanden ist die so genannte Kundensprache, die der Diener, Händler und Hausierer zu unterscheiden. Alle diese Sprachen haben kaum Anteile von englischen oder französischen Wörtern, sehr
viel aber aus dem Hebräischen und Jiddischen, zum großen Teil auch aus dem Polnischen. Im Rotwelsch der Gauner hieße übrigens das vorliegende Produkt Zeitung "Martinifleppen". Nun ja.

Auch geographische Bezeichnungen hatten die Gauner geändert. Plattland meinte Hannover, Schwaben war
der Krautgarten. Und ein Bäcker hieß Teigaffe. Das alles ist heute noch nachvollziehbar. Dass wir heute Kaff
zu einem kleinen unbedeutenden Ort sagen, stammt vom hebräischen Kaph, womit damals allerdings Kassel und Köln bezeichnet wurden. Mainz hieß übrigens Miau, was mit Mietze-Katzen nichts zu tun hat, sondern mit dem jüdischen Mintz (statt Mainz), was den meisten Hörern wie Mietze vorkam und sie dann Miau sagten.

Damals war ein Tintenkuli ein Schreibergehilfe, heute nur noch ein kleines Gerät.

Natürlich ging es auch den Diebesbanden immer um Geld. Wie viele Ausdrücke haben wir da übernommen !
So heißt verpulvern hochdeutsch vergeuden, Schotter bedeutet zerkleinertes Gestein, mithin Kleingeld. Zum Geld selbst sagten die Gauner: Torf, Kies oder Moos, und Mammon ist ein großer Reichtum. Kies kommt vom hebräischen kiß. Und Zaster ist schon als altindisches Wort Sastra bekannt.  Möpse oder Kröten kommt aus
den Berliner Gaunerkreisen. Und wenn wir heute zu einem Polizisten Polyp sagen, dann kommt das nicht vom Meerestier mit den vielen Fangarmen, sondern aus dem Rotwelschen Polipee, womit die Gauner die Polizei bezeichneten.

Natürlich haben auch Speisen und Getränke im Rotwelschen eigene Bezeichnungen. Wenn man heute Plempe zu einem abgestandenen Glas Bier sagt, dann war das auch schon früher so gemeint. Warum allerdings die
gute Sahne in der Gaunersprache Leichenbrühe hieß, weiß man heute nicht genau. Außer, man wollte sich den Appetit verderben.

Gaunerzinken auf der Hauswand
 Gaunerzinken waren Zeichen, mit denen sich die fahrende Zunft verständigte, ob man es etwa mit einem gastfreundlichen oder geizigen Haushalt zu tun hat. Zinken finden sich auch heute noch manchmal an Haus- wänden, sofern man sie zwischen all den grellbunten Grafittis überhaupt erkennt. So bedeutet ein einfaches Wägelchen mit Kreide aufgemalt: Hier kann man um Fahrgeld betteln. Oder vier Striche nebeneinander: Hausherr gibt Geld nur gegen Arbeitsleistung. Zwei ineinander verflochtene Ringe heißen: Hier kann man ruhig zudringlich werden. Und ein durchgestrichener Kreis bedeutet: Hier gibt es nichts. Ein Kreuz gibt dem Bettler
den Hinweis: Fromm tun!

Das erste Wörterbuch des Rotwelschen erschien übrigens 1901. Die damalige sorgfältige Auflistung von Friedrich Kluge ist bis heute nicht übertroffen worden. (NRZ)

  Quelle: NRZ 06.03.04

                        
Zum Weiterlesen:

Reden die Jenischen Rotwelsch?
http://home.balcab.ch/venanz.nobel/ausstellung/Rotwelsch.htm

http://home.balcab.ch/venanz.nobel/ausstellung/Rotwelsch.htm
Der Artikel weist darauf hin, dass es eine eigenständige Sondersprache "Rotwelsch" nie gegeben hat. Es gab eine Sprache, der Landstraßen und besonderer Berufs- und Bevölkerungesgruppen, die aus vielen "Teil-Sonder-Sprachen" bestand. Die Wörterbücher des Rotwelschen entstanden in den Schreibstuben - vor allem der Polizeidienststellen - wo man dieses Sprachengewirr verstehen wollte und den Versuch unternahm es zu systematisieren.

Vergleichbar sind z.B. die Sprachmischungen auf heutigen Großbaustellen, wo Arbeiter verschiedener Nationalitäten sich vertändigen müssen und eine Mischung aus Deutsch, Türkisch, Italienisch, ... "erschaffen" je nach den beteiligten Nationalsprachen.

boronk - Kleines Lexikon des Rotwelschen

(E?)(L?) http://www.boronk.de/LARP/Rotwelsch.txt