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Quelle: http://rhein-zeitung.de/on/98/01/08/topnews/benimm1.html

Die schlimmsten Fettnäpfchen
Etikette wird wieder wichtig:

Benehmen Sie sich!

Hamburg (gms) - Der Termin für die Jubiläumsfeier steht schon fest. Der Chef hat seine Angestellten samt Anhang in das feinste Fischlokal der Stadt gebeten. Nach dem Sektempfang steht ein viergängiges Menü auf dem Plan. Der Hummer droht. Und nicht nur der. Denn die Flegeljahre der Etikette sind vorüber. Es wird wieder verstärkt auf Benimmregeln geachtet

Kavaliere der alten Schule müssen manchmal umdenken - viele der alten Benimmregeln haben sich gewandelt.

Gutes Benehmen auf beruflichem Parkett und bei privaten Anlässen ist heute mehr denn je gefragt", sagt die Hamburger Benimm-Expertin Alexa Hengstenberg. Chefs verlangten neben fachlicher Qualifikation von ihren Mitarbeitern ein hohes Maß an selbstsicherem und stilvollem Auftreten.
Schließlich sind sie so etwas wie die Visitenkarte einer Firma. "Und wer auf einer Gesellschaft oder einem Abendessen durch plumpe Konversation und ungehobelte Tischsitten auffällt, wird mit Sicherheit kein zweites Mal eingeladen." Zum gelungenen Auftritt gehören eine stilvolle Begrüßung, die richtige Anrede, gepflegter Small-Talk und der souveräne Umgang mit den Tischwerkzeugen.
Da sich Benimmregeln den gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen anpassen, kann sich auch die Etikette gestählte ältere Generation nicht unbedingt in Sicherheit wiegen. Viele Verhaltensmuster, auf die die "Kavaliere der alten Schule" einst gedrillt wurden, haben sich gewandelt. Das zeigen auch die ständig aktualisierten Benimmregeln des Arbeitskreises Umgangsformen International in Bielefeld.

Wer zuerst sieht, grüßt zuerst

Wer beispielsweise als Privatperson auf der Straße auf Grußvorrechten besteht, hat den Zug der Zeit verpasst. "Früher war es üblich, dass der Rangniedere den Ranghöheren, der Mann die Dame begrüßt. Heute grüßt derjenige zuerst, der den anderen zuerst sieht", so Hengstenberg. Ein Vorgesetzer, der erwartet, von seinen Angestellten beim Eintreten in einen Raum zuerst gegrüßt zu werden, ist falsch informiert.
Auch die Dame stellt sich inzwischen selbst vor. "Es ist überholt zu glauben, dass es die Zurückhaltung der Dame verbietet, sich selbst bekannt zu machen. Denn durch das Berufsleben sind die Frauen längst daran gewöhnt", so Inge Wolff, Vorsitzende des Arbeitskreises Umgangsformen International. Auch die eherne Regel "eine Dame bleibt bei der Begrüßung immer sitzen", einst als "Vorrecht" gepriesen, fiel der Emanzipation zum Opfer. "Heute entscheidet jede Frau selbst, ob sie bei der Begrüßung aufstehen möchte", sagt Inge Wolff.

Alte Floskeln sind nicht mehr zeitgemäß

Nicht ohne Tücken ist auch das gegenseitige Bekanntmachen. Alte Floskeln wie "Darf ich mich vorstellen" sind nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen empfehlen Psychologen die "Ich bin"-Version mit Vor- und Nachnamen. Das klingt selbstbewußt und überzeugend, außerdem werden zusätzliche persönliche Informationen ausgetauscht. "Besonders wichtig ist es bei einem kurzen Nachnamen. Der klingt dann nicht so abgehackt", rät Hengstenberg.
Wer den Namen seines Gegenübers mit Floskeln wie "angenehm", oder "sehr erfreut" quittiert, entlarvt sich als Relikt der deutschen Etikette- Päpstin Erica Pappritz (zu Unrecht oft als 'von Pappritz' zu finden), die mit ihrem strengen Regelwerk den weltkriegstraumatisierten Deutschen bis in die 60er Jahre ein Orientierungssystem an die Hand gab.

Nach der Vorstellung folgt mit dem sogenannten "Small-Talk" die Kür auf dem glatten Parkett gesellschaftlicher Konventionen. Nicht jedem liegt die leichtfüßige Konversation, in der sich die Gesprächspartner ihre Sätze wie Ping-Pong-Bälle zuwerfen. Oft will das Gespräch einfach nicht in Gang kommen. "Viele wissen einfach nicht, worüber sie mit ihrem Tischnachbarn reden sollen. Dabei kann jeder, der sich für andere interessiert, ein vollendeter Unterhalter sein", weiß Rosemarie Wrede-Grischkat aus Mühltal, Autorin des Benimm-Bestsellers "Hohe Schule des guten Benehmens".

Es kommt nur auf die Themen an. Lebensbereiche wie Hobbys, Sport, Beruf, Theater oder Reisen bieten unerschöpflichen Stoff für eine gelungene Unterhaltung. Wrede-Grischkat rät, den Tischnachbarn "mit taktvollen Fragen" etwa nach seiner Lieblingsbeschäftigung aus der Reserve zu locken. "Wenn jemand erst mal bei seinem Steckenpferd ist, fließt das Gespräch von allein", weiß Etikette-Kollegin Hengstenberg. Tabu hingegen sind Konversationskiller wie Betriebsinterna, Politik, persönliche Probleme oder Krankheiten. "Alles Unappetitliche oder Belastende hat im Small-Talk nichts zu suchen. Oder möchten Sie, dass sich jemand detailreich über seine letzte Gallenoperation auslässt, während gebratene Hühnerleber serviert wird?", fragt Hengstenberg. 

Tischsitten sind wichtig für die Karriere

Da kommen auch die Tischsitten ins Spiel. Während sich die Pappritz-Generation auf diesem Terrain zumeist souverän bewegt, fehlt es den antiautoritär erzogenen Kindern der 60er und 70er Jahre an der nötigen Sicherheit. Diese haben die Einstellung "Erlaubt ist, was gefällt." Das rächt sich jetzt. Besonders, wenn es um die Karriere geht. Denn noch heute laden viele Chefs ihre künftigen Mitarbeiter zum "Gabeltest". Wer sich dann die Serviette in den Ausschnitt hängt wie ein Lätzchen, angesichts der vielen Gabeln und Messer ins Schwitzen gerät - das Besteck des ersten Ganges liegt ganz außen, alle folgenden Richtung Teller - und dann beim Fischgang beherzt nach dem Steakmesser greift, hat schlechte Karten. Hengstenberg: "Viele Vorgesetzte verstehen da auch bei Einserkandidaten keinen Spaß und sagen sich: Das war's dann wohl".

Von Hedda Möller