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Das dunkle Kapitel im Sommermärchen

NRZ  15.08.2008, WOLFGANG KINTSCHER
OLYMPIA. Wie Detlev Mahnert die heiteren Spiele von München erlebte - und vor Aufregung das englische Wort für Geiseln vergaß.

Im Schlafzimmerschrank hat er das gute Stück wiedergefunden, sorgsam verstaut zwischen ein paar anderen Jacketts. So etwas wirft man nicht weg, auch nicht nach 36 Jahren,
wo doch für diese stoffgewordene 70er-Jahre-Coolness in Giftgrün kein Geringerer als Modeschöpfer Pierre Cardin verantwortlich zeichnet.

Er hätte diese Uniform-Kombi, die ihm als Stadionsprecher bei den Olympischen Spielen 1972 in München ausgehändigt wurde, auch privat tragen dürfen, das wurde damals ausdrücklich erlaubt, aber irgendwie hat Detlev Mahnert dieser Versuchung in all den Jahren widerstanden.


Nur einmal, das war zu Karneval vor ein paar Jahren, da hat er das Teil dann doch mal übergestreift, hat sich ein paar Orden um den Hals gehängt und zur Trillerpfeife gegriffen, während seine Frau sich mit einem Dirndl einkleidete. So sind sie raus feiern, als "Olympia-Team" aus Rüttenscheid.

Ja, Olympia. Wenn Mahnert, 67 Jahre alt, pensionierter Lehrer für Deutsch und Französisch und unpensionierbarer Autor aus Rüttenscheid, heute auf sein "ganzes Stück Leben" zurückblickt, dann zaubert ihm die Erinnerung an München '72 immer noch ein Lächeln ins Gesicht: Es ist eines dieser Ereignisse in einem Menschenleben, die sich für die Ewigkeit einbrennen, ins Hirn und ins Herz, die guten Erinnerungen wie die schlechten. Es gab von beidem so viel.

Und es fing so banal an.

Im Aktuellen Sportstudio hatte Hobby-Sportler Mahnert eines Samstagabends den Aufruf von Moderator Harry Valerien vernommen, man brauche für die Olympischen Spiele in der bayerischen Hauptstadt noch Sprecher mit Englisch- und Französisch-Kenntnissen. 
Mahnert, damals gerade 29, bewirbt sich beim Organisationskomitee, schickt als Stimmprobe seine Sprüche bei einem Heimspiel von RWE gegen Alemannia Aachen und macht das Rennen. Er glaubt: weil er bei den Halbzeitergebnissen von den anderen Plätzen sechs Mal ein 0 : 0 verkünden musste - und die Spannung im Publikum durch klitzekleine Kunstpausen zu steigern wusste.

Aber er muss wohl auch beim Vorsprechen in München ("Was ist Abseits?") keine so schlechte Figur abgegeben haben, jedenfalls planen sie ihn ein - als einen von sechs Stadionsprechern für die Fußball-Wettbewerbe in München.

Für Mahnert eine großartige Sache: Von der Arbeit freigestellt fühlt er sich in jenen August-Tagen an der Isar wie auf Urlaub: "Das war unser Sommermärchen damals", sagt er mit glänzenden Augen, "jeden Tag blauer Himmel, junge Sportler aus aller Welt auf kleinstem Raum, und über allem diese lockere, freundliche Atmosphäre. Es herrschte ein unglaubliches, friedliches Miteinander."

Und die Behörden tun alles, um jeden Verdacht von Bürokratie, übertriebenem Sicherheitsdenken und Bedenkenträgertum zu zerstreuen. Detlev Mahnert wird in einem Neubau in Sichtweite des Olympischen Dorfs untergebracht, essen geht er in der Kantine der BMW-Zentrale, und seine Sprechereinsätze hat er in Ingolstadt, Regensburg und vor allem: München.

Der "dufte" Fuchsberger und die "schwarze Gazelle"

Dabeisein ist alles, seine Plaudereien füllen feuchtfröhliche Abende: Wie Joachim "Blacky" Fuchsberger nach der Mikrophonprobe als 4711-Werbepartner allen Sprechern eine Runde Kölnisch Wasser spendiert; wie Mahnert sich in die Mannschaftskabine zu Jupp Derwalls Schützlingen von Uli Hoeneß bis Ottmar Hitzfeld schummelt; wie er (seine Übelkeit mühsam verbergend) mit dem 77-jährigen Fifa-Präsident Sir Stanley Rous im Hubschrauber durch die Lande fliegt - und nach einem Spiel der Russen einfach mit im Mannschaftsbus bleibt.

Leicht angetrunken, räumt er ein, gelangt er so ins Olympische Dorf und begegnet dort seinem Jugendschwarm, der bildhübschen "schwarzen Gazelle" Wilma Rudolph. Er bekommt ein Autogramm und registriert bei ihr Hautunreinheiten. Sonst nichts? Sonst nichts.

Es soll auch eine ganze Menge Leute geben, die haben ein Autogramm von Klaus Wunder vom MSV Duisburg, oder besser: Sie haben eines von Detlev Mahnert, den viele wegen seiner grünen Uniform für einen Spitzensportler halten. Er unterschreibt mit Klaus Wunder, "weil mir der Name so gefiel".

Ja, es hätte immer so weiter gehen können für Mahnert, doch seine heiteren Spiele von München, sie nehmen am 5. September, dem elften Wettkampftag, ihre schlimmstmögliche Wendung. Während das Olympische Dorf noch schläft, nehmen acht schwerbewaffnete palästinensische Terroristen um 4.30 Uhr in der Frühe israelische Delegationsteilnehmer als Geiseln. An viel kann Mahnert sich nicht mehr erinnern: "Es gab wilde Gerüchte, den ganzen Tag", das weiß er noch, aber ansonsten hat sich bei ihm ein schier undurchdringlicher Schleier über das Ereignis gelegt.

Die Spiele werden unterbrochen und trotz der misslungenen Befreiungsaktion mit vielen Toten am nächsten Tag wieder aufgenommen: "The games must go on". Für Detlev Mahnerts Schwester Roswitha, die als Olympia-Hostess arbeitet, ist das zu viel. Sie schmeißt die Brocken, fährt nach Hause, der Bruder erfährt es erst später: "Sie war immer politisch extrem interessiert - und moralischer drauf als ich."

Weitermachen als preußische Pflicht

Detlev Mahnert macht nach Diskussionen im Sprecherteam weiter, weil er will, weil er irgendwie muss. Das wird wohl, sinniert er heute rückblickend, "so etwas wie preußisches Pflichtbewusstsein" gewesen sein, dass er blieb. Beim Fußballspiel Deutschland gegen Ungarn, es ist der Tag der Trauerfeier und der Durchhalteparolen für die olympische Idee, legen sie ihm vom Organisationskomitee einen vorbereiteten Text vor.

Mahnert liest wie ihm geheißen, obwohl ihm bei der spontanen Übersetzung vor lauter Aufregung das englische Wort für "Geiseln" nicht einfällt. Er sagt "the arrested" anstatt "hostages", aber wen kümmert's.

Sowieso ist ihnen allen der Spaß an den Spielen verloren gegangen. Er darf noch das Halbfinale sprechen und das Finale auch, aber das zählt nicht mehr richtig. Die unbeschreibliche Leichtigkeit dieser Tage ist futsch, "selbst das Wetter", sagt er sarkastisch, wurde mit einem Mal schlechter.

Vom blutigen Teil der Spiele muss Detlev Mahnert noch heute oft erzählen, erst kürzlich wieder dem russischen und dem ukrainischen Fernsehen. Er selber würde viel lieber das heitere Sommermärchen schildern, aber dessen dunkles Kapitel legt man eben nicht ab wie eine alte, giftgrüne Jacke.