Wie aus dem
Nichts säuselt seit geraumer Zeit eine bislang
unbekannte
Stimme sinnlich und lasziv das Bekenntnis "Ich will doch nur spielen".
Die Zahl der Radiosender, die den Song "Das Spiel" ins Programm nehmen,
wächst stetig. Und während man langsam beginnt, rettungslos
dieser
süffigen Verführung samt ihrer Widerhaken zu verfallen, liegt
auch
schon das erste Album der 25-jährigen Newcomerin Annett Louisan
vor.
Eine nicht
unerhebliche Anzahl junger deutschsprachiger Gruppen und
Künstler enterten in der Vergangenheit sehr erfolgreich
Bestenlisten und
Hörerherzen. Dies
ließ Blumfelds Jochen Distelmeyer in einem unlängst
veröffentlichten Pamphlet schon argwöhnen, dass eine "neue
Deutschtümelei" drohend den nationalen Musikhimmel verfinstere.
Nun
taucht da wieder ein debütierender Name auf, der in einem
Interview
auch noch bekennt: "Der
Hauptgrund, weshalb ich mich entschieden habe,
deutsch zu singen war, dass ich gemerkt habe, dass man in seiner
eigenen Muttersprache einfach viel mehr ausdrücken kann. Man hat
viel
mehr Möglichkeiten, mit Gefühlen zu spielen und Ideen
rüberzubringen
..."
Titel
des Albums:
|
1. |
Das Spiel |
2. |
Die Lüge |
3. |
Die Dinge |
4. |
Das Gefühl |
5. |
Daddy |
6. |
Die Katze |
7. |
Der Schöne |
8. |
Die Gelegenheit |
9. |
Der Blender |
10. |
Die Trägheit |
11. |
Die Formel |
12. |
Das Liebeslied |
13. |
Das Spiel (Radiomix) |
|
|
|
|
Ist Annett Louisan damit des vom gestrengen Distelmeyer überall
gewitterten Post-Germanentums schuldig? Mitnichten. Eher erweist sich
dieser Standpunkt als eine sehr erfreuliche und vor allem normale
Entscheidung. Ihre Liederlichkeiten überraschen und gefallen durch
die
große Fülle an frischen, griffigen Formulierungen und so
manch
originellem Textbonmot. Vom Händchen für einprägsame
Melodiebögen ganz
zu schweigen.
Annett
Louisans Stimme polarisiert sicherlich. Entweder man liebt sie oder
verwünscht sie schon jetzt in finsterste Abgründe
musikhistorischer
Verdammnis. Tatsächlich aber ist ihre ganz eigene Art der
Interpretation bereits mit dem ersten Werk unverwechselbar. Die 1,52
Meter kleine Sängerin entführt den geneigten Hörer mit
kokett
gehauchten Bekenntnissen und charmant intonierten Boshaftigkeiten in
eine musikalische Welt, die nun gar nichts mit einer gängigen und
möglichst umsatz- kompatiblen neuen deutschen Poprock-Intention zu
tun
hat.
Sparsam-effektiv
instrumentiert mit z. B. Gitarre,
Kontrabass, Violine und dezentem Schlagzeug schafft Produzent und
Texter Frank Ramond eine sehr entspannte Atmosphäre, die niemals
in
Belanglosigkeiten austauschbarer Easy Listening- Beliebigkeiten
abgleitet. Im Gegenteil. Jedes der 13 Lieder auf dem Album (darunter
der
Radiomix von "Das Spiel") besticht durch seine liebevolle, filigrane
Note in den eleganten, zum Teil folkangehauchten und stark von
französischen Chansons inspirierten Arrangements. Gut gesetzte Jazzsplitter
lockern zusätzlich auf. Harte (musikalische) Töne sucht man
hier
vergebens; selbst eine sporadisch eingesetzte E-Gitarre bleibt stets
dezent und höflich im Hintergrund. Bei den Texten ist das dann
schon
eine ganz andere Sache.
Es ist eine breite
Palette weiblicher
Befindlichkeiten, die Annett mal augenzwinkernd, mal nachdenklich, mal
verspielt, aber durchweg gelungen und glaubwürdig vorstellt.
Zunächst
scheint es, dass die Männer gar nicht gut wegkommen bei der
Wahlhamburgerin: "Ich halte durch/und Du den Mund" ist das Fazit
gegenüber dem nur optisch ansprechenden Gelegenheitslover in "Der
Schöne". Sie gibt auch das Tempo vor: "Du solltest nicht mehr
zögern/keine Zeit mehr verlieren/morgen kannst Du mich vielleicht
nicht
mehr domestizieren" wird der Partner in "Die Gelegenheit"
zurechtgewiesen. "Die Katze" kommt dann endgültig zur Sache: "Sie
zählt
Deine Mäuse/sie mordet sie leise/und gründlich“. In "Die
Dinge" stellt
Mademoiselle Louisan schließlich fest: "Ich brauch sehr viel
Nähe/und
die möglichst komplett/Mit Dir kann man gut reden/doch er ist gut
im
Bett." Starker Tobak!
Aber man kann
Annett als Mann nicht böse
sein, selbst bei so harschen Worten. Denn derart entwaffnend, wie sie
diese Zeilen dahinschnurrt, ist Widerstand wahrhaftig zwecklos. Zumal
sie sich oft genug auch von der anderen Seite gibt, denn : "Ich werde
gern verführt/bin schließlich nicht aus Eis/ich bin nicht
kompliziert/Du knackst mich garantiert … wenn Du die Formel
weißt".
Diese Formel ist gut versteckt in den Titeln von Bohème,
durchaus als
gewisser Leitfaden zu sehen, aber zu 100 Prozent wird man(n) dann doch
nicht fündig. Was natürlich den Reiz des persönlich
Interpretierbaren
weiterhin wohlkalkuliert offenhält.
Ein besonderer
Höhepunkt ist
das treffend instrumentierte und amüsant getextete "Die Katze",
zeigt
Annett doch eindrucksvoll, wer die wahre Catwoman ist. Miau!
Glänzend
umgesetzt in "Das Gefühl" die Idee, das (mal wieder) ganz
große
(Liebes)Gefühl als beliebiges, immer wieder austauschbares
Warenhauskleidungsstück zu interpretieren: "Ewigkeiten kommen und
gehen/hab sie mehr als einmal anprobiert/ hier zu eng/da zu
streng/irgendwo kneift es mich/zu skurril/nicht mein Stil/das
Gefühl/steht mir nicht." In "Daddy" führt Annett eine Art
imaginäres
Gespräch mit dem Vater, den sie im wirklichen Leben (als Folge der
frühen Scheidung ihrer Eltern) nie hatte, und dies nicht in einer
weinerlichen, betulichen Liedermachertradition, sondern – eben ganz und
gar Louisan.
Und damit
überzeugt "Bohème" als in sich
stimmiges, intensives und schon erstaunlich abgeklärtes
Debüt. Ein paar
wenige Längen dann und wann seien herzlich gern verziehen, wenn
man
dafür eine ungewöhnlich hohe Zahl an hörenswerten,
überzeugend
präsentierten Songperlen erhält, die sich zudem noch durch
einen sehr
hohen Grad an Intimität und Frische auszeichnen. Also, Jochen
Distelmeyer: Nur keine Angst! Annett Louisan will ja schließlich
nur
spielen. Und: Seit Marylin Monroes "I Wanna Be Loved By You" hat
niemand mehr den Hörer so verführerisch mit sinnlichen
Bap-Di-Bap-Da-Baba-Dibu-Süßigkeiten betört.
|