Der SDS hat in Deutschlands politischer Landschaft zwei
Sitzgelegenheiten
aufgestellt. Auf der einen hat er sich, in seinem
Selbstverständnis
als einzig legitimierter Streiter im Kampf um eine sozialistische
Zukunft,
selber niedergelassen; auf dem anderen hockt das
reaktionär-autoritäre
Establishment. Zwischen den berühmten Stühlen aber, so hat
der
SDS beschlossen, sitzen sämtliche linken Professoren, Tausende von
Gewerkschaftlern, die Mehrzahl der fortschrittlichen Assistenten und
eine
unüberschaubare Zahl von Schülern und Studenten. Kurz: die
liberalen
Scheißer.
Über den Stuhl auf der Rechten braucht nicht gesprochen zu werden.
Er hat sich für den verstandbegebten Zeitgenossen als unbrauchbare
Sitzgelegenheit erwiesen. Ohne jeden Zweifel muß die Gesellschaft
verändert werden, und zwar grundlegend verändert werden.
Und sicher hat der SDS zur Verbreitung solchen Bewußtseins
unter
einer
begrenzten Anzahl von Personen etliches beigetragen. So weit, so gut.
Aber der SDS ist kein einheitlicher und
einheitlich zu beurteilender Verband mehr, sondern wird in der
Öffentlichkeit von Vertretern mit sehr verschiedenen
Verhaltensweisen und unterschiedlich attraktiven Vorstellungen
repräsentiert. Dabei kann besonders die von einem Teil dieser
Leute definierte und in Anspruch
genommene radikal-revolutionäre Position nicht als die einzig
mögliche,
nicht einmal als eine überhaupt Erfolg versprechende bezeichnet
werden.
Weder sind die ökonomischen Voraussetzungen, noch ist vor allem
eine
revolutionsbereite Massenbasis vorhanden. Wer dennoch auf Grund einer -
und
sei sie noch so berechtigten - Ablehnung des kapitalistischen Systems
in
seiner Denk- und Aktionsweise von einer revolutionären Situation
ausgeht
und dabei in elitärer Selbstüberschätzung glaubt, im
Interesse
einer noch unbewußten Arbeiterklasse zu handeln, der begeht - im
harmlosesten
Fall – Selbstbetrug.
Es gibt in dieser Situation kaum noch Gründe, um einer angeblichen
Einheit des linken Lagers willen, zu allem, was (...) von
Linksaußen
unternommen wird, sein stillschweigendes Einverständnis zu geben.
Dem ständigen und autoritären Verlangen einiger (...)
SDS-Führer
nach Solidarisierung mit ihnen und ihren Aktionen steht in nicht mehr
übersehbarer
Deutlichkeit gegenüber: die ständige Verteufelung eben jener
linken Professoren, Studenten und Autoren, deren theoretisch-
analytische
und praktische Hilfe sie wohl immer wieder annehmen, die sie aber in
unermüdlichen
ideologischen Richtungskämpfen mit absolutem
Gültigkeitsanspruch
gleichermaßen verdammen wie die reaktionärsten Vertreter des
Systems. In der zwangsläufigen Unterlegenheit gegenüber den
mit
allen Machtmitteln eines funktionierenden Staatsapparates
ausgerüsteten
eigentlichen Gegnern werden Ersatzgegner - wie etwa der Frankfurter
Professor
Habermas - aufgebaut und mit allen - auch den unfairsten - Methoden
bekämpft.
Es grenzt an die Immobilität des Kaninchens vor der Schlange oder
aber an masochistische Lust wenn alle jene als ,,liberale
Scheißer"
diffamierten Linken trotz permanenter Verleumdungen und Beschimpfungen
auf ihrer resignierenden Loyalität bestehenbleiben, allein aus der
schwachen Genugtuung darüber, daß der institutionalisierten
Gewalt das spätkapitalisti- schen Systems mit einigen ständig
aktiven
SDS- Kamikazes überhaupt eine, wenn auch ungeeignete, Gegenkraft
entstanden
ist. Darin zwar gilt dem SDS |
die
zahlenmäßig
so starke Linke von Zeit zu Zeit als willkommene Unterstützung bei
Demonstrationen
oder auf teach-ins als gern gesehenes (...)
Publikum. Dennoch hat er aber sehr
wohl seine Gründe, diese nicht SDS- konforme Linke prinzipiell zu
bekämpfen. Denn wer, wie sie, Veränderungen und Reformen will
und diese möglicherweise auch noch durchsetzt, der „verbessert ein
System“, das nach den revolutionären Vorstellungen
des
SDS schon heute vernichtet werden könnte. Folgerichtig
begnügt
sich denn auch diese - mangels Proletariat - revolutionäre
Ersatzklasse
nicht mit der Arbeit an umwälzenden Reformen, sondern fordert
lieber
die Zerschlagung der Institutionen und des Systems überhaupt. Ihre
größten Gegner sind
hierbei all jene „liberalen Scheißer“, die mit berechneten
Provokationen
und ausdauernder Zähigkeit die reaktionäre Bürokratie
und Macht zu einem Zugeständnis nach dem anderen zwingen.
Die (Radikalen) des SDS liefern dagegen mit ihren exzessiven, von der
Bevölkerung
unverstandenen
und vielfach schon deshalb abgelehnten Aktionen und Parolen
dem System ein Alibi nach dem anderen, um gegen die Linke insgesamt
einschreiten
zu können.
(...) Das
Unvermögen, jene utopische, aber bessere, weil sozialistische
Zukunft,
die da per Revolution erkämpft werden soll, sich selbst und einer
größeren Offentlichkeit zu verdeutlichen und in einen
erfaßbaren
politischen Zusammenhang zu stellen, hat die SDS-Theoretiker auf die
Dauer ins Leere laufen lassen. Es kann nicht erwartet werden, daß
der Bürger - auch bei noch so sprachlich vereinfachten
Erklärungsversuchen
- sich auf eine per se nicht definierbare Utopie einläßt.
Selbst
unter der unrealistischen Voraussetzung, daß er tatsächlich
einmal (...) die Unzulänglichkeit und Inhumanität des
jetzigen
Systems erkennen sollte, wird er dieses alte System nicht
zerstören
wollen, wenn er sich ein neues, besseres nicht vorstellen kann
oder auf
vage Begriffe wie „Rätedemokratie“ angewiesen ist.
Bis jetzt hat er vielmehr die verständliche Befürchtung, die
Zukunft könne so aussehen, wie einige (...) sie herbeiführen
wollen. Denn Auftreten und Handlungsweise einiger Vertreter des
Anarchismus
und stalinistischer Auffassungen von Sozialismus sind keineswegs
geeignet,
kritisches Bewußtsein zu schaffen. Da genügt als
Rechtfertigung
auch nicht die Versicherung, daß die Gewalt des Systems
unvergleichlich
bedrohlicher ist. Diese wird nach wie vor von den Massen weder erkannt
noch gefürchtet. Im Gegenteil: Sie wird als Mittel zur
Aufrechterhaltung von
„Ruhe und Ordnung“ gegen die gesamte Linke verstärkt gefordert.
Eine der Vernunft und realistischer Einschätzung ihrer politischen
Möglichkeiten verpflichtete Linke ist langsam im Begriff, sich
darüber
klar zu werden, wem ihre schweigsame, aber geduldige Solidarität
gilt;
ob elitäre Ideologie und wilder Aktionismus nicht viel weniger dem
System, als der Linken
selbst schaden.
Wesentlich erleichtert wird dieser notwendige
Prozeß der Distanzierung besonders durch jene andere Gruppe von
falschen
Revolutionären, deren Geistes- oder besser Gemütshaltung
sich auf unreflektierte Revolutionsromantik beschränkt. (...) Das
revolutionäre Movens allzuvieler Anhänger des SDS und der APO
ist allgemein nicht so sehr
kritischer Intellekt, als vielmehr emotional-idealisti-
sche
Begeisterung. Deren Erscheinungsformen erinnern an frühere
Jugendbewegungen,
wenn es
in fataler Ahnlichkeit der Textilien am Fahnenmast |
(diesmal
freilich in Rot) bedarf, der stimulierenden Gesänge (immer
noch Marschrhythmus, nun aber Proletarierromantik) und auch auf
rhetorische
Auf- putschmittel nicht verzichtet werden kann. Da kommt es einer
pubertären
Mutprobe gleich, wenn der Jungrevolutionär flugs eine
Fensterscheibe
und damit das System in Form einer Versicherungs-
gesellschaft entscheidend
trifft; da werden mit fernöstlichen Pappkameraden mythischer
Personenkult
und aus exotischen Ländern nicht übertragbare Modelle des
revolutionären
Kampfes in den vollkommen anders strukturierten
Industriegesellschaftsalltag
übertragen. Da wird der Frustration mit Emotion begegnet. Genauso
wie bei den elitären Revolutionsideologen der intel- lektuelle
Zorn,
so wendet sich bei den Revolutions-
Romantikern die Emotion zuerst und vehement
gegen die rational denkenden und entsprechend handelnden
Radikaldemokraten,
gegen jene
„ Scheißliberalen“, von denen sie sich durchschaut fühlen,
bei denen der (idealistische) „Funke“ nicht gar so leicht zündet
und
bei denen das Feuer „revolutionärer Begeisterung“ nicht solchen
Strohs
bedarf. Wie sollte auch Solidarität oder gar Identifikation von
seiten
der realistischen Linken möglich sein, wenn ein großer Teil
der Aktionen und Methoden deren sich der SDS bedient, von ihm selbst
nicht
als objektiv richtige, aber als im revo- lutionären Kampf legitime
Verhaltensweise definiert werden! Dazu gehört das bewußte
Benutzen
falscher Zitate und Tatsachenbehauptungen, das Erwecken unreflektierter
Emotionen, die Bejahung der Gewalt und die Manipulation. Folgerichtig
sagt
der ehemalige SDS-Vorsitzende K. D. Wolff:,,Es kommt (dabei) auf die
Intentionen an“!, was
bedeutet: der Zweck heiligt wieder einmal die Mittel. Die Frage stellt
sich da zwangsläufig, was denn nun jene Gruppe, die sich zum
Sprecher
und Richter über alle anderen politischen Meinungen und Richtungen
innerhalb des linken Lagers aufspielt, bisher erreicht hat. Die Antwort
kann nur lauten, daß nach anfänglichen Erfolgen jetzt
lediglich
das traurige Verdienst der Radikalen geblieben ist, daß
mittlerweile
die Kluft zwischen Arbeitern und Studenten, zwischen Linken und
Links-Liberalen
immer tiefer geworden ist. Daß einige SDS- Agitatoren eine
Freund-
Feind- Konfrontation quer durch das fortschrittliche Lager aufgebaut
haben, die gesellschaftliche Veränderungen auf lange Zeit schwer,
wenn nicht unmöglich macht.
Es
scheint eine historisch zurückverfolgbare, märtyrerhafte
Tendenz
innerhalb der deutschen Linken zu sein, politische Niederlagen geradezu
auf ihr Programm zu schreiben. Statt die Möglichkeiten einer
großen,
auf effektive Veränderungen bedachten, fortschrittlichen
Links-Koalition
auszunutzen, sich mit allen zur Verfügung stehenden
publizistischen
Organen Gehör und Basis zu verschaffen, wird den schon etablierten
Reaktionären und den immer stärker und offensiver werdenden
Faschisten
mehr und mehr Spielraum überlassen.
Schuld daran haben die hysterischen Exponenten auf der
Linksaußen-Position,
die anstelle einer praktikablen Realisierung sozialistischer
Vorstellungen
offenbar kurzsichtige und emotionale Ersatz- handlungen gesetzt haben.
Schuld daran haben aber auch jene Linken, die sich zwar als liberale
Scheißer"
diffamiert fühlen, aber noch nicht die Kraft aufgebracht haben,
sich
mit ihren gemeinsamen, realitätsnäheren, glaubwürdi-
geren
- mit durchführbaren Ideen an die Spitze der Bewegung zu stellen. |