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Osama bin Laden bei der
Vorbereitung terroristischer Akte
(Jugendbild)
Die Gesellschaftsmoral der 50er Jahre 

"Moral, das ist, wenn man moralisch ist..." (Georg Büchner, Woyzeck)

Die prägende Moral der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte, die, offenbar unbeeindruckt von dem Gemetzel des Zweiten Weltkriegs, das Zerstörungspotenzial der Atombomben, den Megatod, bewundert, ist die gleiche, die alles verdammt, was mit Sexualität zu tun hat - außer der braven Kinderzeugungs-Sexualität in Missionars-Stellung nach den Normen der katholischen Kirche. Jugendgefährdend sind nicht Kriegsfilme, das Zur-Schau-Stellen von Massenvernichtungswaffen, das Muskelrollen der Militärs, sondern das Zur-Schau- Stellen von zehn Quadratzentimeter nacktem Busen oder ein Filmkuss, der tatsächlich den Mund des Partners trifft. 

Und jugendgefährdend ist natürlich auch all das, was junge Menschen tun, wenn sie ihre erwachende Sexualität spüren und keine Möglichkeit haben, sie abzureagieren:

In dem Buch ,,Der gute Ton“ werden Eltern darauf hingewiesen, wie sie den Gefahren der Onanie ("Onanie, Onamanchmal, Onaoft...") beikommen können: 
,,Verantwortungsbewusste Eltern werden also darauf achten, dass der Junge oder das Mädchen in einem kühlen Zimmer schläft, nur mit einer leichten Decke, nicht zu warm darf es werden. Morgens muss er sogleich nach dem Wachwerden aufstehen und sich kalt abwaschen. Manchmal kann es auch notwendig sein, dass das Kind mit einem eng sitzenden Höschen bekleidet schläft. Auch auf die Verabreichung reizloser Kost ist zu achten. Man muss dem Kind deutlich machen, dass die Onanie eine sexuelle Ausschweifung und Verirrung ist und auf die Dauer zum Wahnsinn oder zumindest zum Verlust aller Lebenskräfte führt.“ 

[Über die grauenhaften Folgen der Selbstbefriedigung und ihre diabolische Verbindung zu den Ereignissen vom 11. September 2001 berichtete die Aufsehen erregende Internetseite AMERICANS FOR PURITY, die schonungslos aufzeigt, wie Osama bin Laden durch liberale Erziehung und Masturbation zu einem terroristischen Monster geworden ist... Leider ist diese gelungene Satire inzwischen aus dem Netz benommen worden]  

Die Moral der 50-er Jahre wirkt auch heute noch in gesellschaftlichen Bereichen, die von der kruden Doppelmoral der Amerikaner infiziert sind. Das zeigt sich z.B. in solchen sozialen Netzwerken, die ihren Hauptsitz in den USA haben (z.B. shtyle.fm, wo die Darstellung eines Quadratzentimeters nackter Haut aus den Tabuzonen zur mitleidlosen Entfernung des Nutzers führt.) Dass große Teile der US-Bevölkerung den für wenige Sekunden entblößten Busen von Janet Jackson schlimmer finden als den Überfall auf ein anderes Land, dass ein Kind zwar täglich 800 bis 900 Morde im Fernsehen erleben darf, aber von der Schule geworfen wird, wenn es "Hölle" sagt, mutet uns heute absurd an - aber Ähnliches wäre in den 50-er Jahren in Deutschland durchaus auch möglich gewesen.

Dementsprechend erfolgte die Erziehung natürlich unter strenger Trennung der Geschlechter – es gab kaum Möglichkeiten sich zu treffen: vor den Augen der Eltern war es im Allgemeinen zumindest in den bürgerlichen Familien unmöglich, "Rücksitznummern" gab es nicht mangels Autos - man flüchtete also in die Wälder, schämte sich, wenn man Freundin oder Freund traf, hatte das Gefühl, etwas ungemein Verbotenes zu tun; offizielle Begegnungen gab es bei so genannten Hausbällen - so hießen die Parties damals, und natürlich waren da Mama und Papa dabei und man war gut angezogen, trank Limonade, die Älteren auch schon mal eine Bowle, und tanzte die Gesellschaftstänze unter den Augen der milde lächelnden Eltern. (,,Mutti, eine Frage: Wann gehst du?“)

Aufklärung erfolgt unter Verweis auf die Blumen- und Tierwelt: ,,Männliche Tiere und auch der männliche Mensch haben ein Stäbchen, mit dessen Hilfe nicht das Samenkorn selbst, aber Säfte, die es transportieren können, in die Erde, also in den Mutterschoß gelegt werden...

Mit der Orientierung zum Westen hin aber kamen zwei Gefahren: zum einen die Übernahme amerikanischer Lebensgewohnheiten (Kaugummi, Jeans, ,,Dschungelmusik“  - ,,Dieser amerikanische Dreck kommt mir nicht ins Haus!“), zum anderen sexuelle Freizügigkeit (jedenfalls, was damals darunter zu verstehen war.) Hilde Knefs sekundenlanger Nacktauftritt in ,,Die Sünderin“ machte einen Riesenskandal - deutsche Darstellerinnen erschienen hinfort nur noch hochgeschlossen; Süsterhenns ,,Aktion Saubere Leinwand“ entsandte eine Armada von Schnüfflern in die Kinos, zu den Zeitschriften-Kiosken, in die Buchhandlungen und zum Karneval („Zotenfrei die Narretei...“) und indizierte alles, was man mit Sexualität in Verbindung bringen konnte. Eine Zensur fand entsprechend dem Artikel 5 des Grundgesetzes natürlich offiziell nicht statt – was aber zahllose Staatsanwälte nicht daran hinderte, permanent Bücher, Filme und Zeitschriften zu verbieten mit dem Hinweis auf eine „Gefährdung der Jugend“. Eine ganz besondere Leistung war dabei 1962 der Antrag des Hessischen Ministers für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen (vertreten durch Dr. Englert) auf Indizierung von Günter Grass' Meisternovelle 'Katz und Maus'. Die Begründung dieses Antrags war so peinlich, dass der Minister selbst sich - nach Ablehnung des Antrags - beim Verlag entschuldigte....

Sehnsüchtige Blicke gingen deshalb ins Ausland – vor allem zu Frankreichs verruchter Brigitte Bardot ...

Leicht war es nicht für einen Jugendlichen, einen Blick auf die Sexsymbole der Fünfziger zu erhaschen: Fernsehen gab‘s fast nicht, und wenn, dann war es so steril und sexy wie eine Tasse warme Milch; im Kino waren diese Filme ,,ab 21“ (!) oder ab 18, strenge Kontrollen wurden ,,zum Schutze der Jugend“ vor amerikanischen Beinen oder französischen Brüsten durchgeführt; wenn man sich allerdings mal in einen Film geschmuggelt hatte, konnte es passieren, dass man im Kino von einem Lehrer gesehen wurde, der noch am Tag zuvor eindringlich vor dem Besuch solcher ,,schweinischer Filme“ gewarnt und für den Fall der Zuwiderhandlung schreckliche Konsequenzen angedroht hatte. (Einmal ,,ficken“ auf die Schulbank geschrieben, bedeutete unweigerlich Rausschmiss...)
Im Grunde belegten die 50er Jahre eine Erkenntnis, die das deutsche Bürgertum bereits im 18. Jahrhundert geprägt hatte (und die z.B. Lessing in 'Emilia Galotti' in ihrer ganzen furchtbaren Konsequenz dargestellt hatte): Wirtschaftlicher Aufstieg (und der musste ja kommen nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs) ist gebunden an Lustverzicht.

(Nur mal so an den Rand gefragt: Ist der wirtschaftliche Abschwung des frühen 21. Jahrhunderts vielleicht auch verbunden mit der Propagierung der "Spaßgesellschaft"?)

Die Frau war ohnehin keine gleichwertige Partnerin, aber auch nicht einmal Lustobjekt, sondern eine Mischung aus Gebärmaschine und Putze. Die Werbung verkündete: Eine Frau hat doch nur zwei Lebensprobleme: Was ziehe ich heute an? und: Was koche ich heute? — Nachdem die Frauen während des Zweiten Weltkriegs zwangsläufig berufstätig gewesen waren, wurden sie jetzt wieder ihrer ,,eigentlichen Bestimmung“ zugeführt. (Dies galt natürlich nicht für die "Sowjetzone", die spätere DDR, in der die Frauen von Anfang an ins Berufsleben eingebunden waren und der Staat sich um die Kinder kümmerte, indem er sie in Horten, Kindergärten und Ganztagsschulen materiell und ideologisch versorgte.)


Bill Haley and the Comets
Gegen all diese muffige Unterdrückung, die Lustfeindlichkeit, die ,,Förster-vom- Silberwald“- Filmwelt, die ,,Heideröslein“-Romantik, den verquälten Karneval, die krypto-schwulen Jungschar-Gruppen (in denen doch Schwulsein offiziell noch stärker tabuisiert war als die ,,normale“ Sexualität), gegen die spießigen Ordnungsvorstellungen der Eltern, die aus den Ehre-Freiheit-Vaterland-Ordnung- Disziplin-Sauberkeit-Manneszucht-Idealen der Nazizeit und dem Jungfernschaftsdogma des 19. Jahrhunderts in Verbindung mit der trostlosen doppel-moralinsauren katholischen Sexualmoral gespeist waren, revoltierten die Jugendlichen, die von den Älteren in typischer, aus der Verunsicherung und dem völligen Unverständnis dieser Bewegung erwachsenen Überheblichkeit die ,,Halbstarken“ genannt wurden. Es waren die jungen Leute, die sich schwarze Lederjacken anzogen, bei den ersten Rock ‘n’ roll-Konzerten von Bill Haley ("Rock around the clock" erschien 1954) oder nach dem Besuch des Films ,,Saat der Gewalt“ (s. Video "5o-er Jahre, ab Minute  8:20) Freilufttheater wie die Berliner Waldbühne oder Kinosäle zertrümmerten und in James Dean ihr großes Idol hatten.







Pilzvergiftung
Sein ,,Rebel without a cause“ [ein Titel, der das Lebensgefühl der Generation – Rebellion ohne konkreten Grund – viel besser traf als der an die Bibel angelehnte deutsche Titel „Denn  sie wissen nicht, was sie tun“] – wurde Ausdruck der Befindlichkeit dieser Generation.
Heute würde man sicher von einem „Kultfilm“ sprechen.

Für unser heutiges Verständnis von populärer Musik, für eine Zeit, in der Dauer-Rebell und Bürgerschreck Mick Jagger von der Queen zum Ritter geschlagen wird, ist es schlechterdings unbegreiflich, wie diese Gesellschaft der 50-er und frühen 60-er Jahre auf die neuen Töne reagierte. Die ungefestigte, ihren Halt in der Vergangenheit suchende Republik erregte sich maßlos über "Schmalzlocke" Bill Haley, den "Zappelphilipp" Elvis ("Elvis the pelvis") oder die "langhaarigen Hottentotten",  weltberühmt geworden unter dem Namen "The Beatles"...

Das so genannte und in diesen Jahren weidlich herbeizitierte "gesunde Volksempfinden" führte begnadeten Zeitungsschreibern die Feder, und was in einer fast schmerzlichen Mischung aus Xenophobie, Deutschtümelei, Kurzhaar-Fetischismus und schlichter Dummheit auf das geduldige und willige - wenn auch noch etwas gelbliche - Zeitungspapier erbrochen wurde, hatte den Charme eines ungebrochenen Alltags-Rassismus, dem alles, was von seiner haargescheitelten nagelscherenrasengepflegten Bügelfaltenordnung abwich, zutiefst verdächtig war. Als lästige und eigentlich auszurottende (damit hatte man ja hinreichend Erfahrung...) "
Käferplage" sah der Chronist der "Mendener Zeitung" die Beatles; die von jeher um die (vor allem geistig-sittliche) Gesundheit ihrer Leser besorgte Zeitschrift "Hören und Sehen" (die mit der Maus auf der Karikaturenseite) sah sich gezwungen, verantwortungsvoll vor einer drohenden "Pilzvergiftung" durch vier Liverpooler Pilzköpfe zu warnen; die "Kieler Morgenzeitung" verstand es 1963, ihre Leser mit der Nachricht "Vier zottige Käfer verbreiten Massenpsychose in England" zu verschrecken, und der "Kölner  Stadtanzeiger" zeigte sich schillerfest ("Da werden Weiber zu Hyänen...") und analysestark, wenn er titelte: "Brave Mädchen werden zu Hyänen". Eine Bildungsetage höher und wie immer besonnen hintergründig formulierte die ,,Frankfurter Allgemeine" im Jahre 1964: ,,Musik oder Veitstanz?" (Nachzulesen in dem vergnüglichen

Buch von Bernd Matheja (Hsg.), Internationale Pilzvergiftung. Bear Family 2003, 344 S.)




Dieser erste große Jugendprotest nach dem Zweiten Weltkrieg war - im Gegensatz zu den Protestaktionen der Sechziger Jahre - ganz unpolitisch, ein Ausbruch aus den engen Grenzen eines Spießerlebens, einer Spießerwelt, deren Ideale sich als überholt erwiesen und deren Ideologien die Welt an den Rand des Abgrunds geführt hatten.

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